Namestory #1: Marie Jorunn
Marie Jorunn — jeder Name hat eine Geschichte
Jeder Name hat eine Geschichte.
Der Name ist verwoben mit unseren Familien und unseren Lebensgeschichten, er kann Auftrag oder Feststellung sein, aber niemals wird ein Name zufällig vergeben.
Diese Geschichte wurde mir auf einer außergewöhnlichen Reise an einem außergewöhnlichen Ort erzählt, in Marroko, am Fuße des Atlasgebirge, im Kasbah Tamadot, dem Anwesen von Richard Branson.
Das ist die Namensgeschichte von Marie Jorunn. Erzählt von Julia Weinzettl.
Du hast zwei Vornamen?
Marie Jorunn: Mein erster Name ist Marie, mein zweiter Vorname ist Jorunn. Als Kind war es mir peinlich einen Namen zu haben, den keiner hat. Ich habe ihn immer vertuscht. Manche kannten ihn und haben sich über mich lustig gemacht — ‘Haha, du heisst Moorhuhn’. Meine Mutter erzählte mir die Geschichte dieses Namens immer wieder, aber früher hatte sie für mich keine Bedeutung.
Was hat sich geändert?
Marie Jorunn: Letzten Sommer erzählte sie sie mir nochmals und brachte mich zum Nachdenken. Meine Eltern zelteten 1989 mit den Fahrrädern auf den Faröer Inseln. Eines Abends kamen sie in ein Fischerdorf, stellten ihre Räder ab und spazierten durch den Ort. Sie schlenderten an einem Haus vorbei, draussen war es schon dunkel, aber im Haus brannte Licht. Meine Mutter sah im erleuchteten Badezimmer eine nackte Frau, von deren Schönheit sie beeindruckt war. Sie wollte ihren Namen wissen und entdeckte am Haus ein Schild auf dem ‘Jorunn og Per’ stand, das heisst ‘Jorunn und Peter’ auf deutsch. Da beschloß sie, wenn sie einmal ein Mädchen bekäme, sie Jorunn zu nennen. Nachdem ich die Geschichte dieses Mal hörte, fragte ich mich zum ersten Mal, wer diese Frau sei, denn ich hatte plötzlich das Gefühl, sie müsste auf eine Weise ein Teil von mir sein.
Dann bist Du einfach losgereist?
Marie: Ja, ich beschloß noch in der Nacht hinzufahren und sie zu suchen. Meine Eltern fanden den Plan zwar ein bisschen verrückt, aber eigentlich sehr cool. Mein Vater druckte den Plan von Klaksvík, der Stadt in der sie Jorunn gesehen hatten, aus und versah ihn mit einem Bleistiftkreuz an der Stelle, an der sich das Haus ungefähr befunden hatte. Er gab mir auch ein Foto der Gasse. Mein Vater ist Landschaftsfotograf, er fotografiert nie Städte und schon gar nicht Gassen, in denen sich Autos befinden, aber diese Gasse hatte er fotografiert. Dann fragte ich Martin, meinen Freund, ob er mich begleite.
Mit Plan, Foto und Martin ausgestattet bist Du auf die Faröer Inseln gereist.
Marie Jorunn: Gleich am Tag nach unserer Ankunft starteten wir zu Fuß los und versuchten anhand des Fotos und des Plans das Haus zu finden. Nach einer Dreiviertelstunde herumirren, fragte ich ein Mädchen auf der Straße, ob sie Jorunn und Per kannte. Überraschenderweise kannte sie die Beiden. Per war Lehrer an ihrer Schule, einer HTL und Jorunn eine Kindergärtnerin, beide waren Freunde ihrer Eltern. Sie wollte wissen, warum ich sie suchte und die Geschichte gefiel ihr. Sie telefonierte mit ihrer Mutter und gab uns die Adresse.
Dort seid ihr hin spaziert, die letzten Meter waren bestimmt aufregend?
Marie Jorunn: Als wir vor ihrem Haus ankamen war ich total nervös und kurzatmig. Ich klopfte an, jemand machte mir auf und ich fragte ob ‘Jorunn und Per’ hier wohnen. Sie sagte: ‘Per wohnt hier.’ ‘Und Jorunn?’. ‘Das bin ich. ‘
In diesem Moment hatte ich sehr starkes Herzklopfen.
Angeblich sagte ich ‘I have a special story to tell you’. Sie war sehr gastfreundlich, bat uns herein, stellte gleich Tee auf und platzierte selbstgebackenes Brot vor uns auf dem Tisch.
‘Erzähl´, ich bin ganz aufgeregt!’. Nachdem sie die Geschichte gehört hatte, wurde sie ganz ruhig, `I don´t know what to say, I don’t know what to say…’ dann sagte sie: ‘Weißt du, Per und ich, wir haben selber keine Kinder, wir konnten keine bekommen. Und jetzt kommt ein Mädchen aus Österreich, das nach mir benannt ist. Das kann ich gerade überhaupt nicht glauben.’
Sie wollte es sofort Per erzählen. Wir gingen hinunter in den Keller zu Per, der gerade fernsah und erzählten gemeinsam — einmal sie, einmal ich — die Geschichte. Per konnte es auch nicht glauben. Die Situation war einfach nur komisch.
Danach luden sie uns zum Essen ein und kochten für uns. Wir unterhielten uns stundenlang und hatten das Gefühl einander schon ewig zu kennen, es gab eine echte Vertrautheit zwischen uns. Sie boten uns an bei ihnen zu übernachten, aus einer Übernachtung wurden drei.
Eines Abends fragt mich Jorunn, ob ich wüsste was der Name bedeutet. Ich hatte zwar recherchiert, aber im Internet nichts gefunden. Der Name ist norwegisch und bedeutet ‘Tierliebhaber’.
Das zu Hören berührte mich. Seit ich zehn Jahre alt bin, bin ich Vegetarierin, da tierisches zu essen sich für mich nicht richtig anfühlt.
Und dieses Gefühl stimmt mit meinem Namen überein.
Ihr seid mit dieser Geschichte auch ins Radio gekommen.
Marie Jorunn: Die Geschichte verbreitete sich sehr schnell. Zwei Tage nachdem wir Jorunn gefunden hatten, war sie Stadtgespräch. Jemand fragte, ob die Geschichte schon im Radio gewesen wäre. Ich war verwundert und wollte wissen warum? Sie meinte, es gäbe überall negative Nachrichten, die Menschen wollten positive Nachrichten hören. Innerhalb von einer halben Stunde hatten wir einen Interviewtermin bei einem Radiosender in der Hauptstadt Tórshavn. Das Interview war lustig, zuerst plauderten wir zwei Stunden mit dem Radiomoderator, danach nahm er eine Stunde lang die Geschichte auf. Ich wollte wissen, wer sich ein einstündiges Interview anhört und er meinte: ‘Alle hören sich das an!’ Er nahm auch Jorunns Erzählung auf, schnitt beide Versionen zusammen und sendete sie ein paar Tage später.
Dann kam die Zeitung…
Marie Jorunn: Ja, Jorunn rief mich an, daß ein Journalist ein Interview machen wollte. Das war ein lustiger Typ. Er schrieb ganz langsam und während ich auf Englisch erzählte, übersetzte er gleichzeitig ins Faröische. Vielleicht war er deshalb so langsam, es dauerte ewig. Jorunn, Per und Martin wurden ebenfalls interviewt und Fotos vor Jorunns Haus gemacht.
Dabei ist etwas sehr Schönes geschehen. Ich hatte Jorunn nach dem Schild, das meine Mutter damals gesehen hatte, gefragt. Es war mit der Anschaffung einer neuen Eingangstür weg gewandert. Als wir für das Interview zurückkamen, hatten sie auf einmal wieder ein Schild ‘Jorunn og Per’ an der Tür, genauso, wie es meine Mutter damals gesehen hatte. Sie hatten von sich aus gefunden, daß es wieder dastehen müsste.
Die Zeitung wurde fast überall auf den Faröer Inseln verteilt.
Marie Jorunn: Wir waren auf dem Titel mit einem Foto und in der Zeitung hatte unsere Geschichte zwei Seiten. Diese Zeitung wird normalerweise in der Trafik verkauft, aber an diesem Freitag wurde sie an alle Haushalte gratis ausgeliefert, weil sie gerade ein Fussball Match gewonnen hatten. Plötzlich kannte jeder diese Geschichte. Manche Leute lasen die Geschichte auch auf den anderen Inseln. Jorunn wird, egal wo sie sich befindet, immer wieder von Leuten angesprochen.
Sie fragen sie, ob sie ‘die’ Jorunn mit der Geschichte ist und haben Tränen in den Augen, wenn sie sie treffen, weil die Geschichte so schön ist.
Seid ihr noch in Kontakt miteinander?
Marie Jorunn: Martin und ich haben im August 2017 geheiratet und die Beiden zur Hochzeit eingeladen. Sie wohnten bei uns und waren in faröischer Tracht auf unserer Hochzeit. Jorunn spricht nur Faröisch und Englisch, lernte aber ein halbes Jahr lang mit einer Deutschlehrerin, damit sie auf unserer Hochzeit eine Rede halten konnte. Sie erzählte ihre Version der Geschichte. Ihr Deutsch war wirklich gut, man merkte, dass viel Arbeit dahinter steckte.
Wir hatten in Klaksvík auch einen Teil von Jorunns Familie kennengelernt. Als wir uns verabschiedeten, umarmte mich ihre Nichte ganz fest und sagte: ‘I have the feeling, I have a new cousin`, so als ob ich jetzt ein Teil ihrer Familie wäre.
Die Geschichte wurde erzählt von Julia Weinzettl von www.taskfarm.com. Julia führt auf Taskfarm Interviews mit Movers, Makers und Game Changers. Sie zeigen Veränderungen in unserem Arbeitsleben auf und bieten einen Ausblick auf zukünftige Trends, Entwicklungen und Berufsbilder.
17/01/2018
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